- Ein Phänomen -

Verehrte Leser!

Seit langem verfolgen die Spitzen der europäischen Literaturkritik und des Journalismus mit Erstaunen und leiser Verwirrung ein Phänomen. Sein Name ist Rintheim - Rintheim direkt. Der weitgehend im Dunkeln - respektive in Rintheim - bleibende Autor (oder handelt es sich um ein Autorenkollektiv? Oder gar, schlimmer noch, um einen Kollektivautor?) würde derlei sprachliche Unwitze in Klammersetzung natürlich verdammen - ebenso, wie er im ersten Satz dieser Kolumne mit indigniertem Kopfschütteln ein »abendländisch« an Stelle des unliebsamen eu-Wortes (viel eher also ein dys-Wort) sehen zu wünschen nicht umhin könnte. Nun, ungeneigter Leser, sehen Sie Sich das an: Das Phänomen Rintheim direkt schlägt ganz phänomenale Wellen. Bereits im ersten Absatz dieses Textes nämlich sind wir ihm verfallen und bei der Kernfrage angelangt, um die sich der Verfasser Rintheims immer wieder voll süffisanter Raffinesse zu stellen drückt: Was, lieber Leser, wollten wir eigentlich sagen?

Aber, um das Thema weiterzuverfolgen, ehe es uns wieder entschlüpft: Ist das überhaupt wichtig? Wollten wir etwas sagen? Vielleicht nicht. Viel eher ist doch auch dies nur eine literarische Mode-Erscheinung und durchaus ein Plagiat: Da inzwischen sogar bei incal Interviews mit incal erscheinen, dachten wir, es wäre an der Zeit, eine Rintheim-Kolumne über Rintheim zu schreiben. Wer jedoch, oder was, verehrter Kolumnent, ist ein Rint? Denn ein Rintheim braucht doch sicher auch Rinte (verwaise Rinte?), welche es beherbergen kann? Womit wir grammathematisch womöglich schon falsch liegen: Lautet der Plural von Rint korrekt Rinte? Rinter? Rinten? Rints? Oder ist er unregelmäßig und wird mit einem leicht ins gelbliche tendierenden Zungenschlang etwa »Rønten« ausgesprochen? In diesem unwahrscheinlichen und daher statistisch berechtigen Fall: Gibt es Rintenstrahlen? Und - sind sie kanzerogen? Fördert, so fragt hier der Mediziner dazwischen, das viele ungeradlinige Denken beim Genuss von Rintheim-Kolumnen eigentlich die Entstehung von Cerebralcarcinomen...? (Aufnahme-Gespräch in einer mittelmäßigen deutschen Kleinklinik: »Denken Sie?« (ernst:) »Ah. Wie lange schon?« (besorgt:) »Oh. Und wieviel am Tag? Hm...«). Aber wir lassen den Mediziner nicht ausreden, natürlicht nicht. Denn dies führt eindeutig und auch zweideutig zu weit, und wieder wären wir dem Phänomen Rintheims auf den Leim gegangen: Uns nämlich, versunken in philosuffisches, so weit zu führen, dass wir, wenn wir dort angekommen sind, vergessen haben, wohin wir wollten, obgleich wir uns eventuell genau da befinden, wo wir hinwollten. Was wir aber ob unseres Vergessens nicht mehr so exakt sagen können.

An dieser Stelle möchte ich uns einen Blick in den Text oberhalb gestatten, um das Thema wiederzufinden - hiermit sei eine Abweichung von der Strategie und vom Leim gestattet, auf den wir gegangen sind, um dem Rintheim-Phänomen ein drittes Mal die Ehre zu erweisen: In dem wir uns nämlich gänzlich inkongruent betragen und jede Kongruenz, auch die Kongruenz von kongruenter Inkongruenz, schlichtweg kongruent verweigern - sei, wie gesagt, ein Blick in den Text... Sie wissen schon... und wir sehen: Es ging um die Frage des RINTs an sich (an wem auch sonst?): Was ist ein Rint? Ist ein Rint überhaupt? Hier kommt uns ein allzu häufig negierter Philosoph in den Weg: Betrachten wir einmal den Unterschied zwischen Nichts und Rint. Nichts ist sicherlich viel weniger als Rint - allein schon, wenn man das spezifische Gewicht beider betrachtet - Rint an sich aber ist, fragen Sie ihren Nachbarn! - im Grunde nichts. Ein Paradoxon zeitgenössischer Neoethik: Nichts-sagend. Ein anderer bekannter Herr bemerkte es schon vor langem: Alles rinnt... Hier sei noch als Paradebeispiel existentieller Fragen die Situation genannt, in der sich neulich Heid. und ein Schüler trafen.
Schüler (bemüht, eine Diskussion anzustrengen - provokant mit dem Kinn vorschnellend): »RINT!«
Heid.: »Gesundheit!«
Aber zurück zum nie-vorhanden-gewesenen Ausgangspunkt.

Falls (und dies ist ein unwahrscheinlicher Fall) ein Rint ist, wo ist es daheim? Wohnen Rinte in Rintheim? Was sind Rinte? Und - was auch immer sie sind - warum sind sie es? Ist es notwendig, derlei zu wissen? Sind Rinte unglücklich, weil wir es nicht wissen? Oder wären sie unglücklich, wüssten wir es? Haben wir das Recht, in einer von alternativer Altbäckerei bis zu zeitgenössisch-zoologischem Zahnersatz abstrakten Kolumne nach solchen Konkreta zu forschen? Denn Rintheim, lieber Leser, ist in seiner Berichterstattung eine der abstraktesten und gleichzeitig präzisesten Kolumnen im Zeitalter der aufgeklärten Arbeitslosigkeit: Es verbreitet keine Lügen, keine Hetze, nicht einmal Euphemismen: Es berichtet, genau und pünktlich, von nichts, davon jedoch selbst bei Regen. Rintheim ist vordergründig hintergründig. Mit charmanter Selbstverständlichkeit versteht es nur sich selbst, und bereits ganze Gruppen von Literaturkritikern sind seit Jahren auf der Suche nach fassbaren (oder unfassbaren) Inhalten in tiefer Brüterei versunken, aus der sie zum Glück bislang nicht wieder auftauchen gesehen wurden und also angenehm verschwunden bleiben: Rintheim - eine Entsorgungsstätte für die Reichs und Ranickies der Ärea postartistischer Globalisierung in westöstlichen Esostrie-Nationen? Somit: Rintheim - die Rettung der Literatur?

Alles in allem kann Rintheim direkt sich selbst wohl nur als Tarnung seiner selbst betrachten, vor allem titelweise. Denn es gibt nichts indirekteres als Rintheim direkt. Die ganze Kolumne, deren rege Lmäßigkeit wir als Dauerabonennten auf- und abrichtig bewundern, ist ein einziger Konjunktiv - oder ein Kolumnativ?- und eventuell im Futur II, was herauszufinden uns bis dato leider verwehrt war. Es hing also sozusagen in der Luft, Rintheim einmal unter indirekteren Prämissen darzustellen bzw. es solchermaßen zur Selbstdarstellung zu veranlassen. Doch gerade angesichts der omnipotenten synonymegalen Parapotenz von Sprachen, in denen schon der alte Goethe mißverstanden wurde, stellt sich die Frage: Sollte es in Ermangelung einer bekannten Direktion bei allerdings großen Betonvorräten im mitteldeutschen Raum nicht statt Rintheim direkt viel eher heißen: Rintheim konkret? Und, diese Kolumne: »Rintheim inkonkret«?

Ähnelt phonologisch ein wenig »Dackel in Schlafrock«.
Aber das wäre uns an dieser Stelle viel zu antiabstrakt.

Herzliche Grüße nach Rintheim sendet Ihnen


Ein badender Beobachter



P.S.: Wenn dies keine feindliche Kolumne ist, ist es dann eine Ko-Existenz-berechtige Ko-Lumne? Und somit, nun, es ist wahrlich ekelhaft naheliegend: Eine Ko-Rinte?