Improvisationsliteratur

Verehrte Leser!

Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kolumnismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Publizisten. »Deutsche Publizisten?«, fragen Sie sich nun vielleicht - »alle deutschen Publizisten, die ganze elende Bande?« Nein, nicht alle. Ein kleines Vernunftmagazin trotzt der neuen Sachlichkeit. Es stellt Thesen auf, die niemanden interessieren, und zieht Autoren an, die ... äh ... nun ja ... denen in wichtigen Situationen nicht viel einfällt. Leute also, mit denen weder Sie noch ich das Geringste zu tun haben möchten.

Doch lassen Sie uns zunächst darüber sprechen, was wir unter "Kolumnismus" eigentlich verstehen wollen. Kolumnismus ist immer der Kolumnismus der anderen, könnte mancher Scherzkeks vielleicht einwerfen. Ich allerdings halte von derlei Zitatverdrehungen nicht viel. Sie sind affektiert und im höchsten Grade banal, vor allem aber verstellen sie den Blick auf das Unwesentliche (nein, nicht Sie!). Exakt darin ähneln sie dem Kolumnismus. Kolumnismus ist heute nichts anderes mehr als die unerträgliche Attitüde, in Schlagzeilen zu denken. Kolumnisten ist völlig egal, worüber sie schreiben. Ihnen kommt es ausschließlich darauf an, einen griffigen, oft auch akademisch wirkenden Titel zu finden - die passende Kolumne wird sich später noch zusammenbasteln lassen. Das Ergebnis sind Texte, die oft nicht einmal mehr als schlechtes Beispiel dienen können.

Was hat das nun alles mit Incal zu tun? Eine ganze Menge, werden die einen sagen. Praktisch nichts, die anderen. Und beide Seiten haben recht! Allerdings liegen auch beide reichlich daneben. Fragen Sie mich nun bitte nicht, was ich damit sagen möchte, ich weiß es ja selbst nicht, möchte es auch gar nicht wissen! Tatsache ist jedenfalls, daß Incal um so gespaltener wirkt, je enger es zusammenwächst. Die Bruchstelle verläuft exakt zwischen der populistischen und der noch populistischeren Fraktion innerhalb der Redaktion. Was das für Deutschland, ja für die Welt bedeutet, ist schon heute abzusehen: rein gar nichts.

Gibt es etwas, was beide Fraktionen versöhnen könnte? Ich fürche: nein. Wie so oft ist die Schwierigkeit prinzipieller Natur. Rein praktisch gesehen sind sowohl der Incal-Betreiber als auch ich konsequente Theoretiker. In der Praxis führt dies jedoch zu immensen Spannungen, die sich höchstens theoretisch lösen lassen. Ja, ja, ich höre nun schon die Leser schreien, die behaupten, daß das ein bloßer Vorwand sei. Natürlich ist es bloß ein Vorwand, was denn sonst? Tatsächlich liegt der Fall nämlich ganz anders: Theoretisch sind wir beide Praktiker, auch wenn er praktisch nichts von Theorie versteht und ich nichts von der Praxis, zumindest theoretisch jedenfalls.

Nun bleibt natürlich die Frage, wofür wir denn überhaupt einen Vorwand brauchen, wo wir doch nichts zu verbergen haben. Vielleicht ist darin aber auch schon die Antwort verborgen. Wer nichts zu verbergen hat, hat in der Regel auch nichts vorzuweisen - keine angenehme Situation für ein Magazin mit globalem Wirkungsanspruch, möchte man meinen! Doch muß das gleich die ganze Welt erfahren? Teilen sie mir Ihre Meinung mit: rintheim.direkt@web.de. Ich freue mich auf Ihre Zuschriften, vor allem, wenn Sie mir nichts zu erzählen haben!

Herzliche Grüße aus Rintheim sendet Ihnen


Ihr badischer Beobachter