Folge 4: Jugend gestern, Jugend heute

Verehrte Leser!

Ich gebe es ja bereitwillig zu - Sie müssen hier so manches ertragen. In vielen Leserbriefen höre bzw. lese ich nichts als Klagen über meine unsachliche Argumentation, die verblüffend irrelevante Themenauswahl und überhaupt die ganze Ausrichtung der vorliegenden Kolumne. Im großen und ganzen trifft Ihre Kritik voll ins Schwarze. Nur gegen einen einzigen Vorwurf möchte ich mich ganz entschieden wehren: daß ich Ihnen hier von Zeit und Zeit neue Ideen präsentierte. Glauben Sie mir, nichts liegt mir ferner! Frisches Gedankengut ist das Letzte, was wir in unter den heutigen Bedingungen brauchen - was immer die heutigen Bedingungen sein mögen. Erwarten Sie also niemals Außergewöhnliches, geschweige denn Bahnbrechendes von mir. Ganz in diesem Sinne möchte ich mit Ihnen heute daher einen Gedanken diskutieren, der zu den wenigen Konstanten unserer überaus bewegten Geistestradition gehört: der Klage, daß alles den Bach runter ginge.

Auf den ersten Blick scheinen die Fakten zumindest in deutschen Landen klar für diesen Gemeinplatz zu sprechen. Während unsere Vergangenheit durch Kulturtitanen wie Schubert, Schopenhauer oder Schiller geprägt ist, wird die Gegenwart eher von Phänomenen wie Franz Müntefering, Sabine Christiansen und Oliver Kahn bestimmt - menschenähnlichen Wesen also, die höchstens aus zoologischer Perspektive von Interesse wären, wenn sie denn nicht den Lauf der Republik bestimmten. Diesen eindeutigen Symptomen des Verfalls stehen allerdings unübersehbare Zeichen des Fortschritts gegenüber. Ich erwähne hier bloß den Drei-Wege-Katalysator, die abnehmende Bildschirmpräsenz von Didi Hallervorden & Konsorten sowie Joghurt mit links- oder wie auch immer drehenden Milchsäuren. Entgegen so mancher Stammtischmeinung geht also nicht alles den Bach runter, sondern vieles den Bach rauf. These widerlegt!

Nun werden Sie mir sicher darin zustimmen, daß wir in guter inquisitorischer Tradition wenigstens einen Schuldigen brauchen, wenn wir denn schon die Anklage fallen lassen müssen - und zwar vorzugsweise einen Schuldigen, der sich selbst gegen die haltlosesten Vorwürfe nur schlecht zu wehren weiß. In einer auf kindlicher Symbolik beruhenden Gesellschaft wie der deutschen bietet sich für derart durchsichtige Vorhaben normalerweise der Fußballbundestrainer an, die Restmülldeponie der Republik. Seit man dieses wichtigste deutsche Staatsamt aber mit Personen besetzt, die ihr Haupt mit halbwegs realistischen Frisuren zu schmücken wissen, kommt es für Verleumdungszwecke leider kaum mehr in Frage. Auch Abgeordnete aus den Landesparlamenten scheiden aus: Viele von ihnen sind demokratisch gewählt und werden daher in den Kreisen der politischen Entscheider nicht im mindesten ernst genommen. Folglich bleibt nur eine einzige gesellschaftliche Gruppe für unsere Zwecke übrig. Sie möchten erfahren, um wen es geht? Dann darf ich Ihnen empfehlen, im nächsten Absatz weiterzulesen!

Wer die Lektüre dieses Textes mit der Überschrift begonnen hat, ahnt es schon: All die Probleme, die wir nicht haben, hat ausschließlich die heutige Jugend zu veranworten. Sie ist die faulste, verdorbenste und leistungsschwächste Jugend, die wir je hatten. Diese Kritik ist natürlich weder neu noch angemessen, doch gerade deshalb vollkommen überzeugend (vor allem, wenn Sie diese Meinung schon vorher vertraten). Der große Unterschied zwischen unserer Jugend und allen vorherigen besteht ganz offensichtlich darin, daß es der heutigen völlig an Erfahrung fehlt. Denken Sie etwa an die fantastischen Jahrgänge der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aus denen unter anderem Goethe und der alte Kant hervorgegangen sind: Sie haben der heutigen Jugend stellenweise mehr als 250 Jahre(!) Lebenserfahrung voraus. Kein Zwanzigjähriger von heute wird das noch aufholen können, selbst mit dem schnellsten Internetzugang nicht! Bei allem Optimismus müssen wir mit Bedauern feststellen: Unsere Jugend wird uns nichts als Enttäuschungen bereiten, wenn überhaupt.

Herzliche Grüße aus Rintheim sendet Ihnen


Ihr badischer Beobachter



PS: Wer den vollkommen unbedeutenden Einwand ins Feld führen möchte, daß Schubert gar kein Deutscher war und ich ihn nur wegen einer überdies vollkommen unnötigen Alliteration angeführt habe, kann sich hier beschweren: rintheim.direkt@web.de.