Folge 12: Interview mit Incal (Teil 2)

Incal gilt vielen als rätselhaftestes Magazin Europas. Rintheim direkt traf den Betreiber in einem Luzerner Kaffeehaus und sprach mit ihm über Gespräche, peruanischen Silberschmuck und das Geheimnis seiner Erfolglosigkeit. Lesen Sie hier den zweiten Teil der Unterhaltung.


RD: Womit über Italiens Bedeutung für die gelehrte Plauderei praktisch alles gesagt wäre. Doch lassen Sie uns noch einmal über Ihr Publikum sprechen. Zahlreiche Incal-Freunde befürchten, daß die anderen Leser dieselben absurden Auffassungen vertreten wie sie selbst. Wenn das wahr wäre, hätte es ernste Folgen. Aber Folgen wofür?

Incal: Ich bitte Sie, das sind doch harmlose Irre, Menschen wie Sie und vielleicht auch ich. Gegen die beherrschenden Einflüsse werden diese Leute immer machtlos sein - nehmen wir nur mal Gravitation, parlamentarische Demokratie oder Fußball. Nein, ich sehe gelassen in die Zukunft: unser Pessimismus wird nicht sterben.

RD: Diese Geisteshaltung habe ich an Incal immer bewundert. Wie niemand sonst setzen Sie sich dafür ein, daß wir auch in Zukunft noch auf bessere Zeiten zurückblicken können. Damit gehen Sie natürlich konform mit dem politischen Berlin. Überhaupt Berlin - wie wichtig ist die Stadt heute für Incal?

Incal: Natürlich ist Berlin ein Moloch, der nur auf Kosten der Allgemeinheit existiert. In den Provinzen zahlt man zähneknirschend - und bewundert aber dann doch das, was alles mit dem Geld angestellt wird, gerade, weil man es praktisch nie selbst miterlebt. Daraus entsteht die kindliche Überheblichkeit des Berliners, vielleicht sogar der Hang seiner Aldi-Verkäuferinnen zur Philharmonie. Und davon lebt natürlich auch Incal. Stellen Sie sich nur mal vor, wir müßten das Magazin in Baden-Baden machen! In welcher Kleinstadt fänden sich dann noch Interviewer, die Interesse und sogar Bewunderung an uns heuchelten?

RD: Berlin ist das Gegenteil Baden-Badens. Hier eine Kleinstadt voller Millionäre, die alles haben könnten, aber nicht wollen; dort eine Großstadt voller Ickes, die gern mehr hätten, aber nicht können. Beides zusammen ergibt null - Incal auch hier als rätselhafter Schlußpunkt ohne jede Aussagekraft?

Incal: Ganz im Gegenteil - oder immerhin halb: Incal ist schon immer ein Ausgangspunkt gewesen, ohne jede Zielrichtung, und insofern ähnelt es dem heutigen Berlin. Stellen Sie sich eine einsame Fahne mitten auf einem Sportfeld vor, auf der 'Start' steht, ohne weitere Hinweise: das ist Incal - offenbar sinnlos, aber doch existent. Aber Sie haben recht: der einzige Unterschied wäre, daß wir in Baden-Baden 'Ziel' auf die Fahne schreiben müßten. Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg: die Bahn braucht Stunden!

RD: Nun werden Sie trivial - aber vielleicht nicht trivial genug. Ich bin der Meinung, daß Trivialität von weiten Teilen des Volkes unterschätzt wird - wie das Volk heute überhaupt alles unterschätzt, bis auf sich selbst. Aber lassen Sie uns nicht von Mehrheiten und ähnlichen Plagen sprechen, dazu ist unsere Zeit zu kostbar. Woraus ziehen Sie heute Ihre Kraft: aus behaupteter, aber niemals eingelöster Volksnähe oder verwirklichter, aber stets bestrittener Trivialität?

Incal: Aus beidem. Ich war immer für mehr Volksnähe, wenn auch nie öffentlich, denn die Mehrzahl unserer Leser hört so etwas nicht gern. Wir können es uns auch gar nicht leisten, aus Incal einen Elfenbeinturm zu machen; das verhindern ja schon die Baukosten. Doch ich muß Ihnen leider widersprechen: das Volk unterschätzt sich selbst, sonst aber nur sehr wenig, im Gegenteil. Nehmen Sie das Schicksal monegassischer Adeliger, den Lügenanteil in Boulevardzeitungen oder die Langeweile in Opernaufführungen: Alles wird überschätzt, sogar unser Magazin und seine Bedeutungslosigkeit. Und das gibt uns die nötige Kraft.

RD: Ihr Widerspruch ehrt mich. Derartige Klarstellungen geben mir stets das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, insbesondere natürlich dann, wenn sie vollkommen gerechtfertigt sind. Zustimmung ist heute überall die perfideste Form des Widerstandes. Man bestärkt die Menschen damit in ihrem Glauben und führt sie nur noch weiter ins Abseits. Am Ende stellen sie dann fest, daß sie exakt an ihrem Ziel angekommen sind - und nichts anderes haben sie verdient!

Incal: Sie haben ganz recht. Aber welches Ziel ist heute noch so bedeutend, daß man es verfehlen wollte? Die Antwort ist natürlich naheliegend: jedes.

RD: Was die Frage aufwirft, wo Sie Incal in 5-10 Jahren sehen. Wird das Magazin seine Bedeutungslosigkeit halten oder gar ausbauen können?

Incal: Ich denke meist in Zeiträumen von 5-10 Tagen oder 10 5 bis 10 Jahren. Sehen Sie, Bedeutungslosigkeit ist ja eine Art Nullpunkt, man kann sich ihr beliebig nähern, erreicht sie aber doch nie ganz. Und damit wird selbst Irrelevanz ein aussichtsloses Ziel. Allerdings vertraute mir ein Rintheimer Lebenskünstler einmal an, daß nur in der Aussichtslosigkeit wahre Zuversicht liege. Wir machen also weiter.

RD: Das wird Ihren Leser freuen! Verehrter Herr, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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